Das Gedankenkarussell als autopoietischer Prozess
Das Phänomen des Gedankenkarussells, oft als unkontrolliertes Umherschweifen der Gedanken beschrieben, wird zunehmend im Kontext der kognitiven Neurowissenschaften untersucht. Es wird als ein autopoietischer Prozess betrachtet, bei dem Gedanken spontan entstehen und sich selbst organisieren, ohne bewusste Steuerung.
Neuronale Grundlagen des Gedankenkarussells
Beteiligung des Default Mode Network (DMN): Spontane Gedankenprozesse, einschließlich des Gedankenkarussells, sind stark mit der Aktivierung von Gehirnregionen verbunden, die zum Default Mode Network (DMN) gehören. Zu diesen Regionen zählen der mediale präfrontale Kortex, der posteriore cinguläre Kortex, der mediale Temporallappen und der bilaterale inferiore Parietallappen (Fox et al., 2015).
Einbeziehung nicht-DMN-Regionen: Neben dem DMN werden auch andere Gehirnregionen konsistent aktiviert. Dazu gehören der rostrolaterale präfrontale Kortex, der dorsale anteriore cinguläre Kortex, die Insula, der temporopolare Kortex, der sekundäre somatosensorische Kortex und der linguale Gyrus. Diese Befunde deuten darauf hin, dass das DMN allein nicht ausreicht, um die neuronalen Grundlagen des Gedankenkarussells vollständig zu erfassen (Fox et al., 2015).
Bedeutung für die kognitive und klinische Neurowissenschaft
Erweiterung des Verständnisses: Die Erkenntnisse legen nahe, dass ein umfassenderes Verständnis der Beiträge verschiedener Gehirnregionen und Netzwerke erforderlich ist, um die kognitiven und klinischen Aspekte spontaner Gedankenprozesse besser zu verstehen. Dies erfordert eine Neubewertung der Rolle sowohl des DMN als auch anderer neuronaler Netzwerke (Fox et al., 2015).
Zusammenfassend zeigt die Forschung, dass das Gedankenkarussell als autopoietischer Prozess nicht nur durch das DMN, sondern auch durch eine Vielzahl anderer Gehirnregionen unterstützt wird. Ein tieferes Verständnis dieser Prozesse könnte wichtige Implikationen für die kognitive und klinische Neurowissenschaft haben.
Wissenschaftliche Untersuchungen
Fox, K., Spreng, R., Ellamil, M., Andrews-Hanna, J., & Christoff, K., 2015. The wandering brain: Meta-analysis of functional neuroimaging studies of mind-wandering and related spontaneous thought processes. NeuroImage, 111, pp. 611-621. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2015.02.039
Was ist Autopoiesis?
Der Begriff Autopoiesis wurde von den chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela geprägt. Er beschreibt die Fähigkeit bzw. Eigenschaft eines Systems, sich selbst zu produzieren und zu erhalten. Ursprünglich in der Biologie entwickelt, hat sich das Konzept auf verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Kommunikation und Organisationswissenschaften ausgeweitet (Vásquez & Benavente, 2016; Arnoldi, 2006).
Grundprinzipien der Autopoiesis
- Selbstproduktion und -erhaltung: Autopoiesis beschreibt Systeme, die ihre eigenen Komponenten kontinuierlich und rekursiv erzeugen und integrieren, um als Einheit zu bestehen. Ein klassisches Beispiel ist die Zelle, die durch Stoffwechselprozesse ihre Bestandteile produziert und gleichzeitig ihre strukturellen Grenzen, wie die Zellmembran, aufrechterhält (Arnoldi, 2006; Zeleny, 2015).
- Organisation vs. Struktur: Maturana und Varela unterscheiden zwischen der Organisation eines Systems, die dessen grundlegende Selbstorganisationsprozesse beschreibt, und der Struktur, die die spezifische Anordnung der Komponenten zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt. Diese Unterscheidung ist entscheidend für das Verständnis, wie autopoietische Systeme auf Veränderungen reagieren (Arnoldi, 2006).
Anwendungen und Erweiterungen
- Soziologie und Kommunikation: In der Soziologie, insbesondere in der Theorie von Niklas Luhmann, wird Autopoiesis verwendet, um die Selbstkonstruktion sozialer Systeme zu beschreiben. Diese Systeme reproduzieren sich selbst durch Kommunikationsprozesse, die ihre Identität und Autonomie bewahren (Vásquez & Benavente, 2016; Cooper, 2006).
- Wissensmanagement: Autopoiesis wurde auch auf das Wissensmanagement angewendet, wobei Parallelen zwischen der zyklischen Natur des organisationalen Lernens und autopoietischen Prozessen gezogen wurden. Trotz der Entdeckung von Gemeinsamkeiten gibt es auch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen (Jackson, 2007).
Kritische Betrachtungen und Herausforderungen
Herausforderungen an den Darwinismus: Autopoiesis stellt eine konzeptionelle Herausforderung für den Darwinismus dar, indem es die Bedeutung von Selbstorganisation und -erhaltung betont, anstatt sich ausschließlich auf natürliche Selektion und genetische Reproduktion zu konzentrieren. Diese Perspektive hat jedoch auch epistemologische und empirische Herausforderungen, die ihre breite Akzeptanz einschränken (Escobar, 2011).
Kritik und Missverständnisse: In einigen Bereichen, wie dem Rechtssystem, wird Autopoiesis kritisiert, da es als zu geschlossen und selbstbezogen angesehen wird. Diese Kritikpunkte haben zu Missverständnissen geführt, die das Potenzial der Theorie in Frage stellen (King, 1993).
Zusammenfassung
Autopoiesis bietet ein tiefgreifendes Verständnis von Selbstorganisation und -erhaltung in lebenden Systemen und hat weitreichende Anwendungen in verschiedenen Disziplinen gefunden. Trotz ihrer Herausforderungen und der Kritik bleibt die Theorie ein wertvolles Werkzeug zur Analyse von Systemen, die sich selbst definieren und erhalten (Vásquez & Benavente, 2016; Arnoldi, 2006; Escobar, 2011).
Wissenschaftliche Untersuchungen – Studien
Vásquez, C., & Benavente, R. (2016). Revisiting Autopoiesis. Management Communication Quarterly, 30, 269 – 274. https://doi.org/10.1177/0893318915620492
Arnoldi, J. (2006). Autopoiesis. Theory, Culture & Society, 23, 116 – 117. https://doi.org/10.1177/026327640602300220
King, M. (1993). The Truth About Autopoiesis. Journal of Law and Society, 20, 218-236. https://doi.org/10.2307/1410168
Zeleny, M. (2015). What Is Autopoiesis ?. **.
Escobar, J. (2011). Autopoiesis and Darwinism. Synthese, 185, 53 – 72. https://doi.org/10.1007/s11229-011-9875-y
Cooper, R. (2006). Making Present: Autopoiesis as Human Production. Organization, 13, 59 – 81. https://doi.org/10.1177/1350508406059642
Jackson, T. (2007). Applying autopoiesis to knowledge management in organisations. J. Knowl. Manag., 11, 78-91. https://doi.org/10.1108/13673270710752126